Es war einmal …
Das Klagen und die Berichte über den Fachkräftemangel sind seit Jahren so omnipräsent, dass man sich kaum vorstellen kann, dass es eine Zeit davor gab. Aber so ist es. Im Jahr 2010 etwa bewerteten nur 16 Prozent der Unternehmen den Fachkräftemangel als Gefahr fürs Geschäft. Gut eine Dekade später zeigt sich ein anderes Bild. Ganze 56 Prozent der Unternehmen sahen 2022 den Fachkräftemangel als Geschäftsrisiko. Mittlerweile sind offene Stellen im Schnitt fünf Monate lang unbesetzt. Stellt sich die Frage: Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Zwei Ursachen, ein Problem
Der Fachkräftemangel ist ein vielschichtiges Phänomen. Aber im Kern lässt er sich auf zwei Hauptursachen zurückführen:
1. Der demografische Wandel:
Vereinfacht gesagt steigt die Zahl der Rentner immer weiter an und es kommen nicht genügend junge Menschen nach. Bis 2040 wird die Zahl der Menschen im Rentenalter um 4,7 Millionen nach oben schnellen. Ohne Zuwanderung sinkt die Zahl der Menschen im Erwerbsalter bis dahin um 9,3 Millionen. Das Problem: Der Stellenmarkt schrumpft nicht – im Gegenteil steigt die Zahl der offenen Stellen immer weiter an.
Die Bundesregierung versucht gegenzusteuern. Unter anderem mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG), das im März 2020 in Kraft getretenen ist. Um den Fachkräftemangel abzumildern, braucht Deutschland rund 400.000 Zuwanderer pro Jahr. Bislang scheint der Erfolg des Gesetzes aber mäßig zu sein. Der Mittelstand beklagt sich unter anderem über zu viele bürokratische Hürden.
2. Die Corona-Krise:
Die Pandemie ging natürlich auch am Arbeitsmarkt nicht spurlos vorüber. Unzählige Unternehmen verhängten Einstellungsstopps und schickten ihre Angestellten in Kurzarbeit. Und oft kam es noch schlimmer: Sie mussten Angestellte entlassen. Viele Arbeitnehmer gingen aufgrund der unsicheren Arbeitsbedingungen aber auch von sich aus.
Die Zahl der offenen Stellen schrumpfte und die der Arbeitsuchenden stieg vorübergehend an. Der Fachkräftemangel war kurzzeitig kein Thema mehr. Doch als die Wirtschaft sich langsam erholte, stand sie vor einem Problem: Die Arbeitnehmer kehrten oft nicht mehr zurück in ihre alten Berufe, da sie sich umorientiert hatten. Hart getroffen hat es vor allen Dingen den Dienstleistungssektor. Rund die Hälfte der Unternehmen dort geben an, nicht genügend Fachkräfte zu finden.
Alles halb so wild?
Die Ursachen für den Fachkräftemangel klingen logisch und nachvollziehbar. Wie kann es also sein, dass immer öfter die Rede vom Mythos Fachkräftemangel ist? Dahinter steht die Annahme, dass die benötigten Fachkräfte durchaus da sind. Sie finden lediglich keine attraktiven Arbeitsstellen in ihrer Branche oder sind in andere Branchen abgewandert. Denn viele von ihnen haben ihre Berufe nicht nur aufgrund der unsicheren Arbeitsbedingungen während der Corona-Pandemie verlassen.
Nicht wenige Fachkräfte sind generell unzufrieden, wenn es um die Arbeitsbedingungen in ihrer Branche geht. Ein Beispiel: Es könnte im stark gebeutelten Pflegesektor mindestens 300.000 Vollzeitkräfte mehr geben, wenn die Arbeitsbedingungen besser wären. Mehr als 80 Prozent davon wären Berufsrückkehrer.
Müssen sich Arbeitgeber mehr strecken?
Eine Umfrage unter Betriebs- und Personalräten zeigt: Je nach Branche und Art der Tätigkeit sehen bis zu 45 Prozent die schlechten Arbeitsbedingungen als Ursache für die Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Liegt hier also der Schlüssel zur Lösung des Problems? Müssen Unternehmen künftig den Benefit-Booster anwerfen?
Mehr Lohn, flexible Arbeitszeiten, Home-Office und Co. – entlarven bessere Arbeitsbedingungen den Fachkräftemangel am Ende als Mythos?
Selbst die Regierung schwenkt um
Neuerdings schlägt auch die Politik, die seit jeher Seite an Seite mit den Unternehmen über den Fachkräftemangel geklagt hat, andere Töne an. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) lehnt es ab, von einem generellen Fachkräftemangel zu sprechen. Denn es gibt deutlich mehr Arbeitsuchende als zu besetzende Stellen. Im Dezember 2022 gab es in nur 26 von 144 Berufsgruppen mehr gemeldete Arbeitsstellen als Arbeitsuchende. In vielen Branchen, in denen händeringend Arbeitskräfte gesucht werden, gibt es eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit.
Ist der Fachkräftemangel nun ein echtes Problem oder ist er am Ende ein angenehmes Ruhekissen für Personaler, denen es nicht gelingt, offene Stellen zu besetzen? Wie so oft liegt die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen. Zumindest scheint der Notstand nicht in allen Branchen so groß zu sein, wie er gerne dargestellt wird. Und genau in diesen Branchen liegt es wohl auch den Arbeitgebern selbst, wie es weitergeht.
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Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es für Unternehmen besonders wichtig, High Potentials zu gewinnen und vorhandene Mitarbeiter zu binden. Dazu ist es sinnvoll, eine langfristige HR-Strategie zu verfolgen, die die Themen Personalmarketing, Employer Branding, Employee Branding und Mitarbeiterzufriedenheit vereint. Hier kommt die Abteilung Human Resources ins Spiel. Welche Aufgaben diese hat und warum eine gute HR-Strategie so wichtig ist, erfahren Sie in unserem Wiki-Beitrag.
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